10. 2. Berlin. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen beginnt vor der 23. Kammer des Landgerichts der Prozeß gegen den ehemaligen DDR-Minister für Staatsicherheit, Erich Mielke. Der 84jährige ist angeklagt, am 9. August 1931 auf dem Berliner Bülowplatz als Mitglied der KPD-Selbstschutzgruppe zwei Polizisten getötet und einen dritten lebensgefährlich verletzt zu haben.
Mit Mielke steht nach den Mauerschützen ( 20. 1. S. 13) das bislang ranghöchste Mitglied der früheren DDR-Führungsriege vor Gericht. Der Mordprozeß verdeutlicht die Schwierigkeiten der deutschen Justiz, die ehemaligen SED-Politiker für Vergehen in der DDR zu belangen. In der Öffentlichkeit wird Kritik laut, daß Mielke wegen einer 61 Jahre zurückliegenden Tat und nicht für die von der Stasi verübten Verbrechen vor Gericht steht.
Prozeßbeobachter und Teile der Presse resümieren, daß dieser Prozeß als Alibi nützlich sei, da er von dem Vorwurf entlaste, nur die Kleinen wurden gehängt.
Mielke, der mit kurzer Unterbrechung seit Dezember 1989 in Untersuchungshaft sitzt, verweigert Angaben zur Person und klagt über seinen Gesundheitszustand.
Die 70minütige Verhandlung unter dem Vorsitz von Richter Theodor Seidel verfolgt der Angeklagte teilnahmslos.
Am 26. April bricht er erstmals sein Schweigen. Er fordert fordert die Einstellung des Verfahrens und verlangt seine Freilassung. Pflichtverteidiger Hubert Dreyling stellt einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Die Tat von 1931 könne nicht als Mord gewertet werden und sei verjährt. Sein Wahlverteidiger Jürgen Vetzenstein-Ollenschläger, der ehemalige Direktor des als »Stasi-Gericht« verrufenen Stadtbezirksgerichts Lichtenberg in Ostberlin, weist darauf hin, daß die Ermittlungen der damaligen Strafverfolgungsbehörden rechtsstaatlichen Maßstäben nicht genügten.
Nach öffentlicher Kritik wegen seiner DDR-Vergangenheit setzt sich Wetzenstein-Ollenschlager ins Ausland ab.
Ende April wird gegen Erich Mielke Anklage wegen Amtsanmaßung, Vertrauensmißbrauch und Untreue erhoben. Außerdem wird Anklage wegen der Todesschüsse
an der innerdeutschen Grenze erhoben.