Johann Haller


Johann Haller

Das Volk von Tirol hat schon verschiedenste Charaktere hervorgebracht. Es ist scheinbar dazu prädestiniert, Künstler und Querköpfe, Politiker und Schöngeister, Wissenschaftler und Musiker zu schaffen. Vielleicht liegt es an der Grenze zwischen dem bairisch-allemannischen und dem lombardisch – slawisch – südländischen Eler:leAt, daß gerade dieses Paß­volk so viele außerordentliche Menschen besitzt. Ein Charakterzug des Tirolers liegt jedenfalls in seiner Verbundenheit mit der Natur und im richtigen Umgang mit ihr. Jäger und Hirten iinten schon früh ein rela­tiv gutes Verhältnis zu den Bergen der Heimat, die früher als Sitz von Geistern und Dämonen gehalten wurden. So muß auch Johann Haller, der sich im Krieg gegen Venetien hervorgetan haben muß, was seine Verdienstmedaille beweist, sich in den Bergen der Tiroler Heimat gut ausgekannt haben. Sein Oberleutnant Julius von Payer nimmt ihn 1868 auf die schwierige Grenzvermessung im Ortler- und Adamellogebiet ats Vermessungsgehilfen und Bergführer mit. Ein ausgezeichnetes und offen­sichtlich herzlich geschriebenes Dienstzeugnis für die gemein9ame Zeit im Hochgebirge, das Haller als „kühnen, verläßlichen, ehrlichen…“ Mann beschreibt, empfiehlt ihn für jedermann. In der Folgezeit macht Payer zwei Reisen in den hohen Norden und entwickelt dabei den kühnen Plan einer Nordostdurchquerung des Eismeeres von Norwegen nach Alaska. Was mag Payer, der sicher mit sehr vielen unerschrockenen Seemännern und Robbenjägern Bekanntschaft gemacht hatte, dazu bewogen haben, für die abenteuerliche und gefährliche Seefahrt durch das Treibeis und die arktische Kälte und Nacht ausgerechnet eine „Landratte“ aus dem Pas – seiertal anzuheuern? Irgend etwas an der Person des Tirolers muß ihn fasziniert und nicht mehr losgelassen haben. Er nimmt drei Jahre nach ihrer Trennung brieflich wieder mit ihm Kontakt auf und bittet ihn um seine Begleitung in ein Element, das dem Wirtsknecht in St.Leonhard völlig fremd ist, er traut ihm auch dort zu, sich zu bewähren. Und als Haller anfangs zögert und nicht antwortet, verlegt sich der k.k. Oberleutnant, der sich auf dem blanken Wiener Parkett zu bewegen und mit hochdekorierten Militärs und Adeligen zu umgeben gewohnt ist, bei dem einfachen, mittellosen Tiroler Knecht aufs Betteln, bis dieser endlich zusagt. Payers Briefe an Haller beweisen dies deutlich.

Etwas besonders Auffallendes an dem Mann, der sicher die Mistgabel und den Pferdestriegel lieber in der Hand hielt, als einen Bleistift, liegt schon darin, daß er mit der Abreise aus St.Leonhard mit dem Schreiben eines Tagebuches begann. Etwas ungelenk ist anfangs diese Handschrift, dafür umso rührender mit ihren harten Strichen und Kanten, sowie den vielen Rechtschreibfehlern. Doch im Laufe der Monate wird sie sicherer und sie zeugt von der zähen Stetigkeit des Menschen, der hier Tag für Tag notierte, was ihm während der langen Tage und Nächte im Norden widerfuhr.

Nüchtern und ohne Pathos zeugen die Tagebuchseiten von der Einfachheit und Verläßlichkeit des Menschen, der vor gut hundert Jahren im positiven Sinn als „der Tiroler“ bekannt war. Ohne schmückendes Beiwerk, ohne Kritik und ohne lobende oder schimpfende Interpretation der Schicksale, die ihn und die Manschaft trafen, sozusagen gottergeben vertraute er das Geschehen seinem Tagebuch an. Niemals wäre ihm eingefallen, auch nur die geringste Meinung zu dem zu haben, was seine Vorgesetzten befahlen und welche Schmerzen ihm sein chronischer Gelenksrheumatismus, seine Erfrierungen und seine Schneeblindheit verursachten. Keine Klage. Und vielleicht ist es gerade dieser Wesenszug, der dem Kapitän und dem Oberleutnant so gefiel. Der Tiroler war es gewöhnt, in der harten und unerbittlichen Natur seiner Berge vieles als gottgegeben anzunehmen und ohne Murren zu tragen. Im Passeiertal – so erzählt man – war es zwar  kein Unglück, wenn ein Mensch zu Tode stürzte, wohl   aber, einige Schafe erfroren.

Haller war, wie aus der Literatur erkenntlich ist, einer aus den 24 Männern der Expedition, die als ruhiger Pol und ausgleichend in der Mannschaft wirkten. Auf ihn war immer und überall Verlaß, er tat sich nie hervor, war aber stets da, wenn man einen umsichtigen Mann mit kühlem Kopf brauchte. Wie arg muß es ihn getroffen haben, als er, der jeden Tag mit den Hunden gearbeitet hatte und jeden von ihnen in seiner Eigenart liebgewonnen hatte, diese treuen Gefährten am Schluß erschießen mußte! In seinem Tagebuch steht nur ein kurzer Vermerk dar­über. Vielleicht kam eine verstohlene Träne dabei auf das Papier, die man heute nicht mehr sieht.

Haller schrieb sein Tagebuch bei hohen Plusgraden wie bei bitterer Kälte von – 45 Grad. An seiner Schrift sind weder Wärme noch Frost erkennbar, weder eisiger Wind noch beißender Rauch der Kohleöfen in den engen Zelten. Sie ist immer gleich, fast stoisch gleich, immer exakt, wie gemalt. Sie macht auch keine Ausnahme an jenem denkwürdigen 24. August 1874, als sie nach unmenschlichen Entbehrungen und Anstren­gungen endlich russische Fischerboote sichteten und gerettet waren.

Ebenso gleichmütig vermerkt der einfach gebliebene Tiroler Nordpolfah­rer all die Triumphe und Ehrungen der Folgezeit, ihm steigt nicht der Kamm deswegen…

Die Heimat Johann Hallers ist “das Schmiedgutt in der Brunst in St. Leonhard.

Dort wurde er am 30.Juni 1844 um 8 Uhr abends geboren und – wie es damals wegen der hohen Säuglingssterblichkeit üblich war – gleich am nächsten Tag, dem 1. Juli um 7 Uhr morgens vom Pfarrer Michael Geiger getauft. Als Taufpaten standen ihm der Weißgerber Johann Larcher und Frau Maria Figl zur Seite. Die Hebamme war Maria Karlegger.

Das Schmiedgut in der Brunst gehört zum ältesten Teil der Gemeinde.

Gleich neben dem Anwesen rauscht der Waltenbach der Passer zu, und auf dem hohen Felsen über dem Bach ragt der Turm des Schlosses Jaufen­burg etwa 200 m über dem Bach als einziger brauchbarer Rest der einst so stolzen Feste empor. Von der einst ausgedehnten Anlage lassen Mauerreste eines  Zwingers mit langem Torweg und der Wohntrakte  die einstige Größe ahnen. Den Herren von Passeier, die um 1300 mit  der Burg belehnt wurden, waren auch die umliegenden Güter zinspflichtig, und das Schmiedgut, das außer der Schmiede noch eine Mühle, ein Säge­werk und eine Kohlenbrennerei betrieb, mußte außerdem noch zur Winterszeit den höher  gelegenen Bauernhöfen das Korn mahlen, weil      deren kleine Wasserläufe zugefroren waren. Der jetzige Besitzer weiß aus der Kindheit die Anlagen noch in Betrieb.

“Die  Brunst“ deutet darauf hin, daß hier, wo früher dem Bach  entlang viele Anwesen gestanden hatten, einmal eine große Feuersbrunst gewütet haben muß. In der Überlieferung des Dorfes wird noch von ihr erzählt. Ein gewaltiger Föhnsturm habe das Feuer von Haus zu Haus getragen. Wie lange das her ist, erkennt man, daß bereits 1357 “Berchtold der Brünster“ mit dem Schmiedgut belehnt worden war. Es mag ein Haller ge­wesen sein, denn 1466 wurde dem Jörg Haller das Wappen von FriedrichIII. aufs neue bestätigt. So weit die Matriken von St. Leonhard zurückreichen, waren die Haller Schmiede in der Brunst. Sie dürften den Herren von Passeier und seit 1418 den Fuchs von Fuchsberg, die im Erbweg in Besitz der Burg kamen, manches an Waffen und Gerätschaften ge­liefert haben.

Das Scnmiedgut liegt in einer landschaftlich überaus reizenden und vorallem  abwechslungsreichen Gegend. Das Wasser für die technischen Anlagen lieferte ein kurzer starker Kanal, der ein unterschlächtiges Mühlrad antrieb, von dem aus die Geräte in Gang gesetzt wurden, die Hammerschmiede,  die Stampfe, die Mühlsteine, das  Sägeblatt. Diese Dinge gehörten zur Umwelt des Johann, genauso wie der nahe Wald, der Wasserwaal und die östlich und südlich sich hinziehenden weitläufigen Wiesen und Felder, deren etliche zum Schmiedgut gehörten.

Johann Haller muß eine schöne, sorglose Kindheit gehabt haben, die Jugendzeit aber war sicher nicht unbeschwert. Der Niedergang der Wohlhabenheit zeichnete sich nämlich schon in der vorhergehenden Generation ab. Sein  Vater war  eines von zehn Kindern der Großeltern, und der erbberechtigte Bruder überschrieb das Gut dem Vater Johanns mit der Verpflichtung, auch noch die 1700 Gulden an Schulden zu übernehmen. So lastete eine große finanzielle Bürde auf der Familie, und Johann mußte sich beim Stroblwirt als Knecht verdingen und sonst zu Taglöhnerarbei­ten greifen, um sich durchzubringen. So war es denn für ihn als Kind der Berge eine willkommene Zubuße, daß er 1868 von Payer als Vermes – sungsgehilfe in die Adamello-, Presanella- und Ortletgruppe mitgenommen wurde. Von dort an ist Johann Haller nicht mehr viel zu Hause gewesen. Kurze Zeit war er noch beim Stroblwirt, bis ihn dann 1872 im März die Briefe Payers in den Norden riefen.

Er hatte zuvor zuhause seine Braut Barbara Egger kennengelernt und sie bald nach seiner Rückkehr im November 1874 geheiratet.

Nicht mehr lange blieb das Schmiedgut in den Händen seines Bruders (der Vater war 1864, die Mutter 1866 gestorben). Anscheinend war er kinderlos (mündliche Mitteilung), das Gut wurde 1883 an die Familie Josef Fieg verkauft, dann 1917 an Alois Amort. Da waren die Schmiede, die Mühle und das Sägewerk noch in Betrieb. Als die Familie Amort 1957 das Schmiedgut an den jetzigen Besitzer Otto Tschöll verkaufte, lagen die technischen Anlagen bereits still. Bei meinem Besuch (Frühjahr 1996) bei der Familie Tschöll wurde ich herzlich aufgenommen und die alte, bis zum Ansatz des Gewölbes weiß gekalkte,   darüber  kohlschwarze   Rauchkuchl  (seit  Johanns  Kindheit sicher nicht viel verändert) war Schauplatz eines stundenlangen „Huangerts“ über die Vergangenheit und die Gegenwart des Schmiedgutes. Die Leute waren überaus freundlich und gesprächig und sehr bemüht, mich nicht ohne Informationen nach Nordtirol zurückkehren zu lassen.

Das Haus selbst ist sehr gefühlvoll außen rastauriert. Ein  neues Wirtschaftsgebäude  ist angebaut. Die ehemaligen Gewerbeanlagen neben dem Haus sind abgerissen, es erstreckt sich ein Garten zwischen dem Schmiedgut und dem Nachbarhaus, dort, wo einst der Schmiedehammer und die Mühlsteine arbeiteten.

Julius von Payer wurde 1841 als Sohn des   Kapitänleutnants  Franz Payer in Schönau, Böhmen, geboren und besuchte die Militärakademie in Wiener Neustadt. Bald wurde er in den Dienst im damaligen österreichischen Norditalien berufen, wo er 1866 bei Custozza hervorragende Dienste in der Schlacht leistete. Seiner Liebe zu den Bergen kam zu­ gute, daß er nach der Neuziehung der Grenzen die Gegenden um den Ortler, das Adamello- und das Presanellagebiet zu vermessen hatte,  wozu er auch Haller mitverpflichtete. Er machte die deutschen Grönlandex­peditionen mit und verfaßte viele sehr plastische Karten über die be­fahrenen Gebiete. Die Anregung zu einer österreichischen Nordpolexpedition­ stammte vom Grafen Wilczek, der dafür Payer und Weyprecht als Führer bestimmte. Nach dieser Fahrt widmete sich Payer vor allem der Malerei und unternahm auch hiefür Reisen in den Norden, auch hielt er zahlreiche Vorträge. 1912 erlitt er einen Schlaganfall und starb daran im Jahre 1915.

Karl Weyprecht, geb. 1838, gest. 1881, stammte aus Hessen und trat  schon 1856 in die österreichische Kriegsmarine ein. Er diente u.a. unter Admiral Tegetthoff und machte die legendäre Schlacht bei Lissa mit. Sein großes Interesse galt zwischen verschiedenen Seefahrten  der Erkundung der Arktis. 1870 wurde er mit Payer bekannt,   und diese  Bekanntschaft schuf den Boden für eine gemeinsame Fahrt in  die Arktis. Die Erfahrungen Weyprechts und seine darüber verfaßten Schrif­ten    wurden wegweisend für spätere Forschungen im hohen Norden.  Nach langem schwerem Leiden erlöste ihn in seiner Heimat Michelstedt am 29. März 1881 der Tod.

Fotos am Originaldokument

 

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Quelle: Gemeinde Obsteig

Orginaldokument: Johann Haller