Nach den letzten Jahren der großen Umbrüche scheint es, als ob das Jahr 1993 eine Zeit des Innehaltens und des Versuches werden sollte , ein wenig Ordnung in die auseinandergebrochenen bisherigen Gefüge zu bringen.
Der Westen bemüht sich um die „neuen“ Länder des Postkommunismus, während weiter am Gebilde des vereinten Europas gearbeitet wird. Doch nicht nur in der hohen Politik und in der etablierten Wirtschaft werden die Fäden nach dem Osten immer fleißiger gezogen, auch in der Subkultur geschieht dies, Prostitution, Geldwäscherei, Autoschieberei gestohlener West-Autos und paramafiose Händel schießen wie die Pilze aus dem kriminellen Boden. Außerdem blüht der Handel mit Restteilen von Atomkraftwerken und Atomforschungslaboren aus den ehemals sowjetisch kontrollierten Gebieten. Für die Sicherheitsapparate der Westländer, auch Österreichs, kommen neue und gar nicht appetitliche Aufgaben heran. Gilt es doch, den Bürgern ein Gefühl des „Trotzdem-sicher-Seins“ in jeder Hinsicht zu vermitteln.
In Rest-Jugoslawien geht der Krieg zwischen den Volks- und Glaubensgruppen inzwischen unvermindert weiter. Die Greuel dieses Kampfes zu beschreiben, ist so unmöglich, als wollte jemand die Tropfen des Meeres zählen. Die Greuel, die an den Kindern und den Frauen zu Zehntausenden pro Tag verbrochen werden, sind unbeschreibbar. Es ist unverständlich, wie ein solcher Haß von den anderen Völkern nur geduldet werden kann. Vor allem das Volk der Bosnier leidet darunter.
Ein ähnlicher Kampf zwischen den Völkern in Ruanda zeichnet sich ab. In den Folgejahren sollte dieser sich zu einem Völkermord ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina auswachsen. Die Zahl der Flüchtlinge ist weltweit ohnehin schon auf 18,5 Mio. angestiegen.
Daß Völker sich aber auch friedlich verständigen können, beweist die einvernehmliche Teilung der Tschechoslowakei nach 75 Jahren ihres Bestehens. Der Staat wird in die zwei souveränen Staaten Tschechien (10,4 Mio.Ew.) und Slowakei (5,6 Mio.) geteilt. 1993 gibt es somit 191 selbständige Länder auf der Erde. Ein weiteres positives Zeichen wird in Südafrika gesetzt, wo Präsident de Klerk erstmals drei Farbige in die Regierung beruft.
In Brüssel werden am 1. Februar die Beitrittsverhandlungen der EG mit Österreich, Schweden und Finnland eröffnet. Ein Zeichen der Versöhnung ist die feierliche Einweihung der neuerbauten jüdischen Synagoge in der Sillgasse in Innsbruck, in Anwesenheit von Bischof Stecher. Gerade in Innsbruck wurde bei der „Reichskristallnacht“ am 9./10. November äußerst brutal gegen Juden vorgegangen, einige von ihnen wurden umgebracht. Man errichtete die Synagoge dort, wo die alte gestanden hat.