Die Russin – Oberstrass 71

Die Russin

Die älteren Obsteiger können sich noch an eine, noch im Alter stattliche Frau erinnern, die gelegentlich mit dem Postbus nach Obsteig kam und dort einige ihrer Zeitgenossinnen besuchte.
In Obsteig war Anna Gassler nur als die “ Russin“ bekannt. Die Chronik Obsteig möchte diese bemerkenswerte Obsteigerin mit ihrem außergewöhnlichen Schicksal mit diesem Beitrag vor dem Vergessen bewahren.

Meine persönliche Erinnerung an diese besondere Frau sind ihre Worte: „Ich soviele traurig – ich soviele allein“. Beeindruckt davon fragte ich, vielleicht achtjähriger, meine Großmutter Maria Tröber, warum diese Frau so traurig sei.

„Die Frau ist Russin und hat bei der Revolution in Russland ihren Mann verloren. Sie musste mit ihrer kleinen Tochter vor den Bolschewiki fliehen. Auf der Flucht lernte sie Anton Gassler aus Obsteig kennen, den sie später dann auch heiratete. Anton Gassler ist früh verstorben und seither ist sie mit ihren sechs Kindern alleine, arm und traurig“, so die damalige Erklärung meiner Großmutter.

Die Zeit:
Der Erste Weltkrieg tobte in Europa von 1914 – 1918 und kostete 10 Mio. Soldaten und 7 Mio. Zivilisten das Leben. Die Russische Revolution begann 1917 und führte zum Bürgerkrieg der Bolschewiki gegen den Adel, das Bürgertum und die staatliche Beamtenschaft.

Die Oblast Wladimir, die Heimat der „Russin“ (Anna Tarasowa, geb. Lasowa) liegt nordöstlich von Moskau an der Oka und hat heute 1.4 Mio Einwohner. Ihr Ehemann Sergius Tarasow war Beamter in Wladimir und kam in der russischen Revolution ums Leben. Die von den Bolschewiki verfolgten Adligen, Bürger und Beamten wurden ermordet oder nach Sibirien deportiert. Am 17. Juli 1918 wurde die gesamte Zarenfamilie in Jekatharinenburg von den Bolschewiki ermordet.

Anna Tarasowa gelang mit ihrer kleinen Tochter Natalia die Flucht vor den Bolschewiki. Anna Tarasowa stammte aus einer angesehenen bürgerlichen Familie und verlor all ihren gewohnten Wohlstand und kam schließlich in eine kleine Landwirtschaft in Obsteig, in der sie sich auch nicht wirklich zurecht fand. Dazu trug sicher auch die nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie wirtschaftlich düstere Zeit der Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit im restlichen kleinen Österreich bei.

 

Anna Lasowa, geb. 24.03.1894, Tochter des Georg Lasow (Laslow) und der Maria Mosina in Wladimir – Russland, Religion: Russisch-Orthodox, ab 1943 röm. katholisch.
Verwitwet nach Sergius Tarasow, Beamter im Oblast Wladimir.
Tochter Natalia Tarasowa, geb. 18.09.1916, verehelicht am 14.05.1934 mit Paul Witting aus Haiming.

Das Wohnhaus der Familie Gassler in Oberstrass 71 (heute Oberstrass 219).

Feuerwehrübung vor Oberstrass 71 (Besitzer Anton Gassler) in den 1930er Jahren. Foto: Chr-Obsteig-0587 Brenner Edith

Anton Gassler und Anna, geb. Lasowa heirateten am 14.02.1921 in Sibirien und zogen danach nach Obsteig.

Kinder:

Josef geb. 04.07.1922              gef. 15.12.1942 in Russland
Maria geb. 31.08.1923             gest. 16.11.1923 Obsteig
Walter geb. 19.10.1924            gest. 28.11.1997 Telfs
Karl geb. 21.09.1926                gest. 24.07.1981 Imst
Ida geb. 14.11.1927                   verh. Hupfauf gest. 18.09.2018 Oberperfuss
Anna N. geb. 04.01.1929        verh. Gstrein gest. 09.01.1994 Innsbruck
Gabriele geb. 02.10.1931        verh. de Min gest. 13.03.2017 Ponto nelle Alpi (Nähe Belluno)

Anton Gassler, geb. 23.11.1892, Sohn des Josef Gassler und der Maria Schöpf in Obsteig, Oberstrass 71, Bauer beim Seicheler (Anmerkung: der Hausname „Seicheler“ stammt vom Beruf des Siebmachers), von Beruf Mechaniker und Schlosser. Er verstarb an einem Herzschlag am 04.07.1936 auf dem Weg zwischen Telfs und Affenhausen.

 

Anton Gassler, verst. 04.07.1936

Sterbebilder von drei  Gassler Söhnen, Josef gefallen 1942, Karl gestorben 1981 und Walter gestorben 1997.

Johann Kleinhans erwarb 1937 den geschlossenen Hof in Ezl. 51 I genannt auch Seichelerhof in Oberstrass 71 und 72 anläßlich einer Versteigerung und verkaufte diesen 1939 an den aus Mühlbachl stammenden Zimmermann Anton Heidegger mit seiner Familie. Der Hof brannte am 17. Jänner 1945 ab und wurde von der Familie Heidegger neu errichtet.
In der nächsten Generation entstand auf Oberstrass 225 Postautobusgaragen und später dann das Heurigenlokal „die Martinsklause“. In der Folge erwarb die Gemeinde Obsteig den Heideggerhof und ermöglichte dort mehrere Wohnungsbauten. Im Jahr 2021 wurde auch die Martinsklause abgerissen und durch die “ Drei Sonnen“, eine moderne Wohnanlage ersetzt.

 

Quellen: Pfarrmatriken Obsteig, Gemeinde Matrikenbuch 1924, Volkszählung Obsteig 1923, Feuerwehr Obsteig, Chronik Obsteig, Johannes Faimann, Information Schaller Herta, Persönliches Erleben: Toni Riser

 

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Quelle: Chronik Obsteig