Alles hat zwei Seiten

 

Jede Sache hat zwei Seiten!

Kulturlandschaft versus Naturlandschaft

 

Selbstverständlich werden sich heute die meisten von uns spontan auf die Seite der Naturlandschaft stellen. Wir denken an den Bau von Liften, Straßen und Einkaufszentren usw. Doch im Kleinen, direkt vor Ort, sieht die Sache manchmal anders aus. Dazu einige Beispiele aus Obsteig zum Nachdenken.

 

Die Lärchenwiesen in Obsteig:

Eindeutig eine Kulturlandschaft, vor Jahrhunderten von Obsteiger Bauern geschaffen, um etwas Galtheu für die Überwinterung von Nutztieren zu gewinnen. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nahm die Mahd in den Lärchenwiesen rasch ab, sodass sich langsam, ja schleichend, die Kulturlandschaft Lärchenwiese begann, in eine Naturlandschaft Wald umzuwandeln. Die Obsteiger haben sich 1980  gegen die Naturlandschaft entschieden und im Einvernehmen mit den Behörden  sich zum Landschaftsschutzmodell Obsteiger Lärchenwiesen bekannt. Durch Mahd, Beweidung und Entfernung von Unterwuchs bleiben uns die Lärchenwiesen erhalten.

 

Das Müllerfeld:

Wohl um einiges älter war das Müllerfeld als Kulturlandschaft. Dieses hat vielen Generationen von Klammer Müllern mit Äckern und Wiese geholfen, ihre Familien mit den notwendigsten Lebensmitteln zu versorgen. Dem „sanften“ behördlichen Druck folgend entschieden sich die damals Verantwortlichen, als Ausgleichsfläche zur Rodung für die Mooswaldsiedlung auf dieser Kulturlandschaft Fichten und Lärchen aufzuforsten und damit der Naturlandschaft Wald den Vorzug zu geben.

Die Lehnberger Mahder:

Nach 1945 haben die Bauern einfach die unrentable Nutzung als Bergmahd aufgelassen. Vier Feldstadel und ebenso viele Kochhütten standen in den Lehnberger Mahdern. Noch einige Jahre haben dort Schafe geweidet, bevor diese über den Arzberg zur Sommerweide am Höllkopf und zum Wannig weitergezogen sind. Die Natur durfte dort ungestört und selbständig walten. Innerhalb von nur siebzig Jahren ist aus Jahrhunderte alter Kulturlandschaft ein dichter Wald geworden, eine echte Naturlandschaft.

 

 

Die Lehnbergalm:

Als Kälberalm der Obsteiger, Fronhauser und Krebsbacher Bauern noch bis in die 80er Jahre genutzt und gepflegt. Damals hat ein jeder Bauer pro aufgetriebenes Kalb einen halben Tag Alpschicht geleistet, den Lehnstrich entbuscht, die Steine zusammen geklaubt und den Zaun repariert. Vierzig Jahre später schlängeln sich die Tourenfahrer im Winter vom Wank durch einen dichten jungen Lehnstrichwald talwärts oder zum Lehnberghaus. Hier bleibt nach dem Rückzug der Landwirtschaft die Frage offen: Sollen wir Obsteiger im Lehnberg eine Schneise zum Schifahren offen halten, oder sollen wir der Natur vom Lehnberghaus bis zum „Kanonenrohr“ ihren Lauf lassen?

Im letzteren Fall wäre Schifahren am Wank schlussendlich Forstfrevel.

Oder ist eine Schitour auf das Wank eine zeitgemäße, allgemein anerkannte Obsteiger Kulturform und damit erstrebenswert und erhaltenswert?

 

Der Arzberg:

1762  Ein Bergmahd des Langhannsenguetes, als die Platter im Lehnberg im Ausmass von 3000 Klafter, der Pfarre Untermieming zehentpflichtig, ist urkundlich beschrieben. Der Xânder Thaller von Wald hat dieses Bergmahd mit zwei Feldstadeln und einer Kochhütte genutzt und besessen. Der heute über 80-jährige Klaus Thaler hat mit seinem Bruder Erwin und seinem Vater noch am Arzberg Bergheu gemäht. Später  haben um die 50 Schafe wochenlang, bevor diese dem Schnee nach auf die Höllköpfe gezogen sind, diese Bergmähder abgeweidet. Mit dem Verwachsen der Lehnberger Mahder ist auch dieser Obsteiger Schafzug Geschichte. In den letzten 50 Jahren hat auch hier die Naturlandschaft  Wald bereits die Hälfte der alten Kulturlandschaft auf der „Platte“ am Arzberg zurückerobert und Xanders Arzbergstadel beim Verfall geholfen.

 

Xånders Schofålbe?

Eine junge Bergfexenfamilie, Nachfahren der Xânder von Wald, heute Wirtsleute im Arzkasten, haben sich dort oben auf ihrer Bergwiese oder Schafalm ein zeitgemäßes Refugium errichtet. Selbstverständlich mit behördlicher Genehmigung und mit ansehnlichem Kostenaufwand. Damit scheint die obere Hälfte des Arzberg wieder für eine oder mehrere Generationen Kulturlandschaft zu bleiben, bis der „Wandel der Zeit und Leit“ (Leute) entscheidet, ob ein Rest der Kulturlandschaft oder Naturlandschaft am Arzberg gewinnt.

 

Jedenfalls haben schon lange nicht mehr so viele Obsteiger den Arzberg erwandert und nach einem Steig dorthin gefragt, um die Aussicht auf Obsteig und das Gurgltal zu genießen und natürlich das weithin sichtbare neue Refugium aus der Nähe zu sehen. Die meisten dort oben angetroffenen Obsteiger haben die Eigentümer dieses Refugiums nicht beneidet, besonders, wenn diese sich vorstellten, selbst das Wasser für den Tee oder die Suppe herauftragen zu müssen.

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Quelle: Chronik Obsteig

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